Direkt zum Inhalt

Lese- und Rechtschreibförderung

Lesen und Schreiben lernen gelingt am besten, wenn Förderung systematisch, explizit und kumulativ ist. Das nennt man oft Structured Literacy (strukturierte Literalität: klar geplanter, schrittweiser Unterricht mit vielen Übungen). Structured Literacy betont u. a. Phonologische Bewusstheit (Laute in Wörtern erkennen und verändern), Graphem-Phonem-Korrespondenzen (Buchstabe ↔ Laut), Dekodieren (Wörter lautgetreu erlesen), Orthographisches Mapping (dauerhafte Verankerung von Wortbildern im Gedächtnis) und Morpheme (Wortbausteine wie Stamm, Präfix, Suffix). Diese Inhalte sind für Kinder mit LRS besonders wichtig, helfen aber allen Lernenden. dyslexiaida.org

Structured Literacy (strukturierte Literalität) Explizit (klar angeleitet) · Systematisch (geplant) · Kumulativ (schrittweise aufbauend) · Diagnostisch (laufend angepasst) Grundprinzipien explizit · systematisch · kumulativmultisensorisch · diagnostisch Worterkennung (Dekodieren) Phonologische Bewusstheit (Laute erkennen/manipulieren) Phonics (Graphem–Phonem-Zuordnung) Orthographisches Mapping (Wortbilder verankern) Morpheme (Stamm/Präfix/Suffix) Fluency (Leseflüssigkeit) Genauigkeit · Tempo · Prosodie Sprachverständnis Wortschatz (Bedeutungen, Wortfamilien) Welt-/Hintergrundwissen (Kontextwissen) Sprachstrukturen (Syntax Semantik) Text-/Literacy-Wissen (Genre, Kohärenz) Verständnisstrategien Vorhersagen · Fragen · Zusammenfassen Simple View of Reading Leseverständnis = Worterkennung × Sprachverständnis Ziele Ergebnisse Sicher lesen (genau, flüssig), Texte verstehen, Rechtschreibung Schreiben aufbauen Unterrichtsprinzipien Explizite Instruktion · Kleinschrittigkeit · hohes Üben · Feedback · Scaffolding (Lernstützen) · laufende Lernverlaufsdiagnostik Quellen: IDA – What is Structured Literacy?; WWC/IES Foundational Skills; National Reading Panel; Simple View of Reading; Scarboroughs Reading Rope

Ein hilfreiches Denkmodell ist die Simple View of Reading (einfaches Lesemodell). Es sagt: Leseverständnis = Worterkennung × Sprachverständnis. Beides muss gefördert werden – das korrekte, flüssige Lesen und der Aufbau von Wortschatz und Hintergrundwissen. Ein weiteres Bild dafür ist Scarboroughs Reading Rope (das „Lese-Seil“): Viele Fäden – von Phonologischer Bewusstheit über Wortschatz bis Verständnisstrategien – werden zu sicherem Lesen verflochten. Reading Rockets

Zentrale Bausteine der Förderung

  • Phonologische Bewusstheit: Reime, Silben, Phoneme (Einzellaut) hören, trennen, verbinden; wichtig vor und in Klasse 1/2.
  • Systematische Phonics (systematische Laut-Buchstaben-Zuordnung): geordnete Einführung der Buchstaben-Laute, Blending (Laute verbinden), Segmentierung (Wörter zerlegen). Bestandteil von Structured Literacy. dyslexiaida.org
  • Orthographisches Mapping: Verknüpft Laut, Schriftbild und Bedeutung zu Sichtwörtern (Wörter, die „auf einen Blick“ erkannt werden). Reading Rockets
  • Leseflüssigkeit (Fluency): Genauigkeit, Lesegeschwindigkeit und Prosodie (Satzmelodie). Wirksam sind Lautlesetandems und Wiederholtes Lesen (Repeated Reading). BiSS-Transfer
  • Wortschatzarbeit: Explizite Einführung neuer Wörter, Wortfamilien, Morphologie (Bedeutung von Präfixen/Suffixen), Wortbildungsregeln. Morphologisches Training stützt Lesen und Rechtschreibung. edu.lmu.de
  • Leseverständnis-Strategien: Vorhersagen, Fragen stellen, Visualisieren, Zusammenfassen, Klärung unbekannter Wörter – angeleitet durch Modellierung (laut denkendes Vormachen) und Scaffolding (gestütztes Üben). Evidenzbasierte Leitfäden empfehlen genau das. EEF
  • Rechtschreibstrategien:
    Alphabetische Strategie (lautgetreu), Orthografische Strategie (Regeln wie Dehnungs-h, Doppelkonsonanten), Morphematische Strategie (Ableiten: fahren → Fahrer), Wortübergreifende Strategie (Getrennt-/Zusammenschreibung, Großschreibung).
  • Schreiben: Transkription (Rechtschreibung, Handschrift/Tastatur) und Komposition (Textaufbau) gezielt üben; Simple View of Writing (ein einfaches Schreibmodell) hilft bei der Planung. EEF

Diagnostik, Screening und Förderplanung

  • Förderdiagnostik (gezielte Tests zur Planung), Lernverlaufsdiagnostik (regelmäßige Kurztests zur Steuerung), Fehlerschwerpunktanalyse (typische Fehlerbündel erkennen), Curriculum-Based Measurement/CBM (kurze standardisierte Messungen). Diese Verfahren passen gut zum RTI/MTSS-Stufenmodell (mehrstufiges Unterstützungs-System: Tier 1 alle, Tier 2 zusätzlich kleingruppig, Tier 3 intensiv individuell). Universitätsbibliothek Regensburg
  • Häufig genutzte Verfahren (Auswahl): ELFE 1-6 / ELFE II (Leseverständnis), SLS 2-9 (Lesegeschwindigkeit), HSP 1-10 (Rechtschreibstrategien), DRT (Diagnostischer Rechtschreibtest, Klassenstufen-spezifisch). hogrefe.com

Wirksame Unterrichts- und Trainingsformen

  • Explizite Instruktion (klare Schritte, Beispiele, angeleitetes Üben), Kleinschrittigkeit, hohe Übungsfrequenz, Feedback.
  • Multisensorische Vorgehensweisen (sehen-hören-sprechen-schreiben kombiniert), z. B. Laut-Gesten, Buchstabenformen nachfahren, Silben klatschen – innerhalb eines strukturierten Curriculums. dyslexiaida.org
  • Lautleseverfahren: Wiederholtes Lautlesen, chorisches Lesen, Partnerlesen – belegt positive Effekte auf Genauigkeit, Tempo und Prosodie. BiSS
  • Strategieunterricht in Lesen und Schreiben (geleitetes Üben mit Modellierung und Scaffolding). Internationale Guidance-Reports fassen das evidenzbasiert zusammen. EEF
  • Motivation/Engagement: Lesefreude durch Leseband/Lesezeit, passende Niveaus (Textsimplifizierung), Auswahloptionen und UDL-Prinzipien (Universal Design for Learning: Lernwege, Materialien und Zugänge variieren, um Barrieren abzubauen). udlguidelines.cast.org

Rechte und Rahmenbedingungen (Schule)

  • In Deutschland gibt es Empfehlungen/Regelungen zur Förderung bei LRS, Nachteilsausgleich (z. B. Zeitverlängerung, Hilfsmittel) und Notenschutz (Leistungen im Lesen/Schreiben werden anders gewichtet). Beispiel NRW: BASS 14-01 Nr. 1 und Arbeitshilfen. BASS NRW
  • Hintergrund: IGLU/PIRLS 2021 zeigte einen deutlichen Rückgang der Lesekompetenz in Klasse 4 – systematische Förderung ist daher besonders dringlich. PeDOCS

Digitale und unterstützende Hilfen

  • Assistive Technologien: Text-to-Speech (TTS; Vorlesefunktion), Speech-to-Text (Spracherkennung), Rechtschreib-/Grammatik-Hilfen, angepasste Schriften und Visualisierungen – eingebettet in Unterricht, nicht als Ersatz für Förderung.
  • Barrierefreie Materialien nach UDL (z. B. Audio + Text + Bild, klare Struktur, Worterklärungen). udlguidelines.cast.org

Typische Förderziele

Phonem-Graphem-Automatisierung, Silbenbewusstheit, Pseudowortlesen, Irregular-/Merkwörter, Wortfamilien, Ableiten/Verlängern, Dehnung/Doppelung, Groß-/Kleinschreibung, Zeichensetzung, Fehleranalyse, Lernstands- und Lernverlaufsdiagnostik, Tier-2-Kleingruppenförderung, Intensivförderung (Tier 3), Lautlesetandems, Repeated Reading, Lesestrategien-Training, Vokabel-/Wortschatzaufbau, morphologische Bewusstheit, Orthographisches Lexikon, Sichtwortschatz, Scaffolding, Modellierung (Think-Aloud), UDL-Anpassungen, Nachteilsausgleich/Notenschutz.